Aufzeichnung: Eva Schümperli-Keller
«Vor neun Uhr morgens läuft in der Soziokultur in aller Regel nichts. Das kommt mir im Familienalltag zugute. Ich kann Alva und Lilja vor der Arbeit in den Kindergarten und in die Krippe begleiten. Abends holt sie dann mein Partner ab. Er ist IT-Spezialist und hat einen klassischen ‹Nine-to-five-Job›. Einen solchen trifft man in der Soziokultur fast nirgends an; man arbeitet ab und zu an Abenden und Wochenenden. Da braucht es einen gut geführten Familienkalender und einen Mann, mit dem man sich Erziehungs- und Haushaltpflichten aufteilen kann. Ich arbeite 50, mein Partner 80 Prozent.
Ich bin gelernte Pflegefachfrau, doch die Arbeit im Spital hat mir immer weniger zugesagt. Im weissen Kittel ist man völlig austauschbar: Man ist für die kranke Person nicht Karin oder Katja, sondern einfach die Krankenschwester, die grad Dienst hat. Das störte mich zunehmend, und ich merkte: Ich will den Leuten lieber im Alltag begegnen und von ihnen als Individuum wahrgenommen werden. Ohne konkrete Vorstellungen einer weiteren Ausbildung holte ich die Berufsmatur nach. An einer Info-Veranstaltung an der Berufsmaturitätsschule hörte ich zum ersten Mal vom Soziokultur-Studium an der Hochschule Luzern. Ich wusste sofort: Das ist, was ich suche. Bereut habe ich diesen Entscheid bis heute keine Sekunde lang. Nur ein paar Tage nach dem Studienabschluss trat ich meine erste Stelle als Soziokulturelle Animatorin im Gemeinschaftszentrum Loogarten in Zürich an und blieb ihr sieben Jahre lang treu. Die Schwerpunkte meiner Arbeit konnte ich weitgehend selbst bestimmen und von Teilzeitarbeit und flexiblen Arbeitszeiten profitieren. Ein bunter Strauss von Aufgaben liess den Job über all die Jahre nie langweilig werden. Zu meinen Aufgaben gehörte etwa, Anlässe vorzubereiten und durchzuführen, zum Beispiel Spielnachmittage für die Kinder, an denen ich auch in Kontakt mit den Eltern treten konnte, Kinderkleiderbörsen oder Krabbelgruppen. Einen Vormittag pro Woche verfassten eine Gruppe von Freiwilligen und ich alle möglichen Dokumente – von der Wohnungskündigung bis zur Stellenbewerbung – für Menschen, die selber mit dem PC nicht zurechtkamen oder Mühe mit der Sprache hatten. Mit dem ‹Elternthemen-Café› etablierte ich im Gemeinschaftszentrum ein niederschwelliges Bildungsangebot. Die Eltern – vor allem Mütter, und zwar Schweizerinnen und Migrantinnen – setzten sich zusammen und diskutierten über Themen wie gesunde Ernährung, das Schweizer Schulsystem oder zweisprachige Erziehung. Manchmal hatten wir Fachpersonen als Gäste dabei, aber die Idee war, dass alle mitdiskutieren und ihre Erfahrungen einbringen konnten. Dabei hat es mir sehr geholfen, dass ich als Mutter ebenfalls mitreden konnte. Sitzungen und Büroarbeiten gehören natürlich – wie wohl bei fast jedem Job – auch in der Soziokultur dazu. Mir macht das nichts aus: Ich finde den Austausch an Sitzungen inspirierend, und ich liebe es, E-Mails zu bekommen. Ich bin richtig enttäuscht, wenn ich am Morgen den Computer starte und keine einzige neue Nachricht im Posteingang vorfinde!
Vor Kurzem habe ich die Stelle gewechselt und arbeite nun beim Schweizerischen Roten Kreuz. Dort bin ich für das Integrationsangebot ‹Mitten unter uns› tätig. Dieses bringt Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund mit Schweizerinnen und Schweizern zusammen. Die jungen Zugewanderten sollen nicht nur besser Deutsch lernen, sondern auch mit den Schweizer Gepflogenheiten vertraut werden, sich zum Beispiel an einen Schweizer Familientisch setzen und ein typisch schweizerisches Mittagessen probieren dürfen. Seit einiger Zeit engagiere ich mich zudem als freiwillige Mentorin für eine aus Afghanistan zugewanderte junge Mutter. Das ist eine wertvolle Erfahrung: Ich bin für einmal nicht die Soziokulturelle Animatorin, sondern einfach Katja, mit der man beispielsweise im Glattzentrum Parfüms ausprobieren geht. Alleine hätte sich die Frau nicht in den Laden getraut. »